Preisträgerin 2012
Antonia Rados

 

Auszug aus der Laudatio von Helmut Ahrens

Antonia Rados wird in Klagenfurt geboren.
Eine andere Klagenfurterin, Ingeborg Bachmann, war überzeugt, die Aufgabe des schreibenden Menschen sei es, sein Gegenüber zur Wahrheit aufzufordern. Ingeborg Bachmanns Satz: „Die Wahrheit nämlich ist den Menschen zumutbar.“ Könnte so durchaus das Motto der Kärntnerin Rados sein. Nach dem Studium wird sie 1978 freie Mitarbeiterin beim ORF. Ihre Fähigkeit Zusammenhänge zu erkennen und zu schildern, das Schwierige mit einfachen Worten zu vermitteln, sich auf das Bild zu verlassen, ohne es durch Überkommentierung zu erdrücken, fällt auf.
1980 ist sie festangestellte Auslandskorrespondentin des österreichischen  Senders, berichtet aus Paris, Berlin, Rom, London, dem Nahen Osten. 1991 wird Antonia Rados in Österreich zur „Frau des Jahres“ gewählt. Im selben Jahr geht die Korrespondentin zum Westdeutschen Rundfunk, der größten Sendeanstalt der ARD. Die Sonderkorrespondentin Rados wird in ganz Deutschland bekannt.
Als die Journalistin 1995 für die Sender der RTL Mediengruppe Deutschland Studioleiterin in Paris wird und von dort aus als Auslandskorrespondentin in die Krisengebiete der Welt reist, schmückt sich der Privatsender mit einem Star der Branche.
Es festigte sich das Bild in den deutschsprachigen Ländern von der Kriegsreporterin Antonia Rados, der Krisenjournalistin.


Darf eine Frau dies … vom Krieg berichten?

Neugierige Redakteure fragen, ob es so etwas wie den weiblichen Blick auf den Krieg gibt? Gerade so, als ob weibliche Beobachter vermehrt Frauen befragen oder konzentriert vom Schicksal der Alten und Kinder erzählen.
Antonia Rados verneint, durchaus geduldig, solche Fragen. Einen solchen Blick gibt es nicht. Der Kriegsreporter, ob Mann oder Frau, müsse höchstprofessionell arbeiten. Nicht ohne zu betonen, und das klingt auf seine Art durchaus nach Ingeborg Bachmann: „Das Elend der Anderen ist uns zuzumuten.“
Und: „’Opfern’ darf ihre Würde nicht genommen werden.“ Die Journalistin: „Einige Reportagen bleiben an einem hängen. Da kann man versuchen noch so objektiv zu sein, es geht einfach nicht. Kriegsreporter kommen nicht nur mit Krieg in Verbindung, sondern vor allem mit Gewalt, selbst wenn nicht geschossen wird.“
2003 im Irakkrieg ist Antonia Rados ununterbrochen auf Sendung, berichtet für RTL, für N-TV. Sie ist die Korrespondentin in Bagdad. Mit dem französisch-deutschen Sender ARTE und RTL produziert sie gemeinsam die Fernsehdokumentation „Unser Freund Saddam“. Eine vorsichtige, nachdenkliche Arbeit, für die sie in Österreich die höchste Medienauszeichnung erhält. Mittlerweile war aus Antonia Rados „die Rados“ geworden.

 

Eines der letzten Interviews mit dem größenwahnsinnigen, operettenhaften Gaddafi führt Antonia Rados. Später wird sie von den Opfern Gaddafis berichten, vergewaltigten Frauen, missbrauchten Mädchen.
Wie sie überhaupt immer wiederkehrt in die Länder des Arabischen Frühlings. Dabei erweckt Sie keine voreiligen Hoffnungen: Autokratische Stammesregionen verwandeln sich nicht in westliche Demokratien.

 

Die Reportagen der Antonia Rados lassen uns fragen:
Wie viel anders sein erträgt der Westen?
Was können, müssen wir tolerieren? Was nicht?
Wenn wir Zuschauer zuhause im sicheren Europa die Reportagen der Antonia Rados im Fernsehen sehen, wenn wir erleben, wie sie auf einem staubigen Platz steht, einen Rebellenaufmarsch kommentiert, mit verhüllten Frauen spricht, Kampfesfolgen, Einschusslöcher, zerplatzte Fenster zeigt, Bilder aus einer Welt, von der uns gerade einmal das Mittelmeer trennt, beschleicht uns ein Gefühl der Ohnmacht. Sie zeigt, dass unser Europa den Dialog, den dringenden, den notwendigen nicht führt, zeigt diese Leerstelle, dieses nicht begonnene Gespräch.

Antonia Rados ist nie zynisch, was alleine schon der Bewunderung wert wäre, aber sie kennt auch keine Weichzeichner. Der Mensch muss die Wahrheit aushalten, hat Ingeborg Bachmann gefordert. Also schaut Antonia Rados hin, hört zu.
Weiß Gott, wir brauchen sie, die Fernsehberichte der Antonia Rados.
Wir brauchen ihren Blick, ihre Fragen, ihre Hinwendung und ihren Mut.

 

Der Hildegard-von-Bingen-Preis 2012 geht an die großartige Politologin, Publizistin, Kriegsberichterstatterin, Reporterin und Autorin Antonia Rados.

.