Preisträger 2010
Fritz J. Raddatz

 

Auszug aus der Laudatio von Helmut Ahrens

Der Literaturkritiker, Essayist, Romancier, Herausgeber, der Publizist Prof. Dr. Fritz J. Raddatz, gehört zur Gruppe jener Kulturjournalisten, die in der Bundesrepublik Deutschland von Anbeginn an gehört wurden und überdies die Landkarte des Literarischen mitgestalten. Es ist sicherlich kein Zufall, dass in Deutschland die großen unüberhörbaren Stimmen im  Kulturjournalismus und in der Kritik, Männern gehören wie Marcel Reich-Ranicki, oder einem Joachim Kaiser und eben Fritz J. Raddatz, die erfuhren und erlebten, wie im notwendigen Kampf gegen die kriegerischen Nazis ihr Zuhause, ihre Landschaft, ihre Stadt versank.

 

Für den Osten hatte sich der „Unruhestifter“ bewusst entschieden. Er glaubte an die Lehren von Karl Marx. Unter den Intellektuellen seiner Tage war er wahrlich nicht alleine. Manche sahen in der DDR den Gegenentwurf zur Republik Konrad Adenauers. Über 50 Jahre wirkt er seither in Deutschland, ist  Mitgestalter, Verlagsmann, Journalist, Kritiker, Interviewpartner, Frager und Befragter, Autor.

Ein „Unruhestifter“ blieb und war er auch in der DDR. Die Stasi vernahm ihn wegen antisozialistischer Umtriebe. Tatsächlich siedelte Raddatz 1958 in die Bundesrepublik über, ging zurück in den Westen. Der Unterschied zwischen Propaganda und Wirklichkeit, zwischen tönendem Versprechen und der Mühseligkeit des Alltags schmerzt. Raddatz: „Ich spüre so stark und intensiv wie kaum bisher, dass ich hier überhaupt nicht mehr hingehöre.“ Im Winter 1958/59 half Erich Kästner in München dem jungen Neuankömmling. Der kluge, talentierte, hellsichtige Verlagsmann bleibt nicht in München. Rowohlt ruft.

 

Die Fähigkeit des Fritz J. Raddatz, das Ungewöhnliche, das Spannende, das klar Formulierte, die wirkliche Geschichte, die wirkliche Erzählung, die zutiefst fesselnde Sprache zu erkennen, die kenntnisreiche Sensibilität des Literaturkenners Raddatz, wurde für Rowohlt zum Geschenk. Seine Lust an der Begegnung mit dem Schriftsteller, der Schriftstellerin, macht es möglich, dass so unterschiedliche Autoren wie Walter Kempowski, Elfriede Jelinek, Hubert Fichte oder Rolf Hochhuth sich in Reinbek angenommen und zu Hause fühlen. Neun Jahre blieb Fritz J. Raddatz bei Rowohlt. 1976 geht er zur Wochenzeitung die „Zeit“. Neun Jahre wird er eines der ungewöhnlichsten, freigeistigsten, buntesten, wortgewaltigsten, engagiertesten Feuilletons Europas leiten. Einzigartig in seinem Anspruch, vielen Meinungen und vielen Stimmen Raum zu schenken, Gehör zu verleihen. Er gab unentwegt Impulse und versammelte die wichtigsten Autoren der Gegenwartsliteratur im Blatt.“

 

Die schöpferische Unruhe des Feuilleton-Chefs der „Zeit“ macht den „Luxusliner“ zum großen Schiff auf den Wellen der Kultur.
1985 trennen sich Raddatz und die „Zeit“ und bleiben doch verbunden. Jetzt ist Fritz J. Raddatz Autor mit Exklusivvertrag, führt Interviews, schreibt Kritiken, widmet sich immer häufiger seinen Buchprojekten. In diesen Tagen nimmt Raddatz seine Leser an die Hand, entführt sie in seine Welt: Die „Tagebücher 1982 – 2001“ erscheinen am 17. September. Irrwitzig, rasant, bissig, kurzweilig, beinahe ein Jeder aus dem Panoptikum der Literatur dieser Epoche hat seinen Auftritt. Einige nehmen ihren Abschied. Und es waren ja auch alles, so oder so, 'Gesprächspartner'. Älter werden heißt auch verstummen.“ Fritz J. Raddatz, der vorzügliche Tagebuchschreiber, Herausgeber, der Autor, der Journalist, der Kritiker, der Erzähler, der Romancier, der Zeitungsmann, der Lektor, der Publizist, der Universitätslehrer, hat sein Leben den Schreibenden und dem Schreiben gewidmet. Wir in Deutschland dürfen ihm dankbar sein. Der Hildegard-von-Bingen-Preis 2010 geht an den großen Kulturjournalisten und Schriftsteller Fritz J. Raddatz.