Preisträgerin 2009
Necla Kelek
Auszug aus der Laudatio von Helmut Ahrens
Die Freiheit, das ist das große Thema der Necla Kelek. Freiheit, die stets die Freiheit von Einengung, Bedrängung, Begrenzung meint; die Abwesenheit von Zwang, Knechtschaft, Bevormundung: Freiheit von Gewalt, vielleicht sogar Freiheit von Angst.
Kelek beschreibt die islamisch geprägten Gesellschaften. Seit über tausend Jahren, erklärt die Autorin, sind es dort die Männer, die gemäß des Korans, vorgeben, was recht ist und was als verwerflich gelten kann. Sie beschreibt dem Leser, dem Zuhörer, dem Zuschauer, die Befindlichkeit islamischer Parallelwelten klarsichtig und genau.
Man hat ihr häufig genug vorgeworfen, dass die Publizistin, die Kommentatorin, die Journalistin, anders als die Wissenschaftlerin, ungeniert aus dem Fundus persönlicher Erfahrungen schöpft, dass sie also zu subjektiv in ihrem Urteil sei und sich allzu sehr am Individuum, am Einzelschicksal interessiert zeige. Gerne haben ihre Kritiker, durchaus willkürlich, übersehen, dass der Mut zum Persönlichen, das Gefühl für das Einzelschicksal, der nachgerade konservativ verfasste Sinn für das Individuum und dessen Bedeutung, zu den wirkungskräftigen Stilmitteln der Autorin und Vortragenden Kelek gehören; Stilmittel, die dem Leser, dem Hörer, ausgesprochen erhellende Einsichten bieten.
Eine Autorin, die den Dialog, das Gespräch, sicherlich auch den Streit, die Auseinandersetzung zwischen den Kulturen, den religiösen und den säkularen Welten vertieft, weil sie glückhaft und erfrischend beides in sich trägt, die islamisch türkische Herkunft und das runde Wissen, die lebendige Sprachverliebtheit jener Deutschen, die man früher Bildungsbürger nannte.
Sie gehört zu den Frauen – denn fast immer sind es Frauen – die mit ihrem eigenen islamischem Hintergrund über Parallelgesellschaften in Europa, falsch verstandene Toleranz oder aber über die schiere Unterdrückung ihres Geschlechts berichten.
Necla Kelek in Deutschland ist streitbar, aufmüpfig, geht keiner Kontroverse aus dem Weg. Als Mitte 2006 in der Wochenzeitung „Die Zeit“ Sozialwissenschaftler, insbesondere Migrationsforscher, sechzig an der Zahl, sich gegen Kelek stellen und behaupten, nicht das schwierige Gegenüber von Islam und westlicher Welt habe zu Problemen geführt, sondern die „Abschottungspolitik Europas“, schlägt die so Angegriffene beherzt zurück und kritisiert das „ideologische Konzept des Multikulturalismus“. Gelassen stellt sie fest, dass ihre Kritiker „aus der gut ausgestatteten Welt der öffentlich finanzierten Migrationsforschung“ stammen. Ein Bereich, so Kelek, der seit 30 Jahren für „das Scheitern der Integrationspolitik verantwortlich“ sei. Überdies hätten viele schlicht „Angst um ihre Forschungsmittel“.
Fraglos, die Löwin weiß zu brüllen!
Die Publizistin und Gesellschaftswissenschaftlerin, die Autorin und Journalistin Kelek schreibt in Tageszeitungen, wird als Expertin geladen, berät die Hamburger Justizbehörde oder den Deutschen Evangelischen Kirchentag. Kelek liebt das gedruckte Wort, liebt die Zeitung und publiziert, da ist sie sicherlich ein Unikum, in den unterschiedlichst positionierten Blättern: In der Berliner „TAZ“, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dem Wochenblatt „Die Zeit“, der Frauenzeitschrift „Emma“ oder in der „Frankfurter Rundschau“. Und dies ist nur eine Auswahl.
Wir Deutschen bedürfen der Stimme der Aufklärerin, der freien Publizistin, der Menschenrechtlerin – nicht Frauenrechtlerin, weil sie einfach mehr im Blick hat, als nur die Lebensumstände des einen Geschlechts – Necla Kelek. „Also wir werden“, schrieb sie, „die strukturellen und ideologischen Hindernisse der Integration nicht beseitigen, wenn wir einem 'Wunschdenken' über den Islam verhaftet bleiben, das Gewalt nur als ein Problem von Extremisten oder als falsche Auslegung einer an sich richtigen Lehre sehen will. Wenn wir die kulturellen Differenzen nicht benennen, wird über die Integrationshindernisse weiter der Schleier gebreitet“.
Nicht zuletzt deshalb müssen wir dankbar sein, für die Schriften, die Analysen, die Meinungen und die Bücher der Frau, die Istanbul verließ und in Berlin heimisch wurde: