Preisträger 2008
Henryk M. Broder

 

Auszug aus der Laudatio von Helmut Ahrens

Er regt an und regt auf. Demokratie braucht Streit, also geht er keinem Gefecht aus dem Weg. Die Balance der Meinungen, fein abgewogen, lockt ihn nicht sonderlich. Wenn sich Leitartikler und Fernsehräte an die Hand nehmen und um das goldene Kalb namens „Ausgewogenheit“ einen frommen Reigen bilden, dann macht er beim Tanz um dieses schimmernde Rindvieh nicht mit. Wer sich dem Vergnügen hingibt, über Henryk M. Broder zu sprechen, den Publizisten, den Kommentator, den Buchautor, den Internetjournalisten, berichtet von einem Mann, der auszog, der Welt die Stirn zu bieten. Er habe versucht, untertreibt er, sich in einer Nische einzurichten. Habe versucht, Deutschland zu entkommen, weg, wie er sagt, von „deutschem Größenwahn“ und „jüdischer Wehleidigkeit“ oder gar „multikulturellen Missverständnissen“. „Wenn ich schon leiden muss, dann nicht an Deutschland, sondern an meiner eigenen Unvollkommenheit.“

Erinnern wir uns an diesen Satz, wenn wir uns mit jener Arbeit auseinandersetzen, die die intensivste und leidenschaftlichste Debatte wohl aller Texte Broders in unserer Republik auslöste. Den Essay „Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken“. Eine Streitschrift gegen falsche Toleranz, gegen Duckmäusertum, vor allem gegen einen islamischen Fundamentalismus. Eine Philippika, die auch Verteidigungsrede ist, die Verteidigung der Grundwerte des Westens.„Der freie Westen“, sagt Broder „hat der islamischen Offensive nichts entgegenzusetzen außer Angst, Feigheit und der Sorge um seine Handelsbilanz“.

Sein neuestes Buch  ist dem klassischen Toleranzgebot gewidmet. Für diese kämpferische Schrift wählte Broder, gemäß der ihm eigenen Bescheidenheit, den Titel: „Kritik der reinen Toleranz“. Toleranz, wie Lessing sie verstand, wie er sie in seinem „Nathan der Weise“ beschreibt, war, so Broder, in einer vertikal organisierten Welt notwendig, unentbehrlich. Doch in horizontal organisierten Gesellschaften, die das Oben und Unten der Vergangenheiten nicht kennen, sondern Wahlfreiheit und ein breites Spektrum an homogenisierten Angeboten, da nütze der Rücksichtslose das Toleranzgebot für sich aus. Broder: „Sie sind es, die mit der Toleranzkeule um sich schlagen und Rechte einfordern, die sie anderen verweigern.“ Er ist trotzig, direkt, streitsüchtig und — mutig: Die Karikaturen einer dänischen Zeitung, die Muslime dazu brachten, Kirchen anzustecken, Nonnen zu schlagen, Priester zu ermorden, nimmt er mit auf seine Lesungen oder zeigt die Zeichnungen auf seiner Homepage. Wer wissen will, wie ein Mann aussieht, der kein Duckmäuser ist, muss auf eine Broder-Lesung gehen! Manchmal setzt Henryk Broder die Narrenkappe auf und informiert uns kokett: „Ich weiß, welche Rolle ich spiele: Die des jüdischen Pausenclowns, der in einer großen Manege seine kleinen Kunststücke vorführen darf.“

Der Clown, der Narr, hat keine Schere im Kopf. Verwandelt Sprechverbot nicht in Denkverbot, verletzt stolz die Regeln der Political Correctness. Stellt Fragen, die anderen im Halse stecken bleiben.

Markwort entdeckte bei ihm ganz andere Verwandtschaften. Als Großvater Gotthold Ephraim Lessing, als Mutter Oriana Fallaci, als Vater Kurt Tucholsky, als Bruder Hanns-Dieter Hüsch, als Onkel Erich Kästner und als Pate natürlich Ludwig Börne. Zur feinen Familie gesellt sich jetzt noch eine Patentante: Hildegard-von-Bingen. Die war auch frech und direkt. Schrieb in mittelalterlichen Zeiten, als Frauen ihr Maul halten sollten, sogar Briefe an den Papst. Ob sie deshalb nur Volksheilige ist und von der katholischen Kirche nie in den wahren und echten Stand der Heiligkeit versetzt wurde? Ich habe keine Ahnung.

Doch so scheint es den Vorlauten zu gehen. Bis heute. Die Autoritäten winden sich, das Publikum aber spitzt die Ohren.